Die Koteletts und der Holocaust

Auf Einladung des hinreißend aktiven Vereins ADDE e.V. in Wuppertal, vertreten durch den noch hinreißenderen Dirk Jädke, las und diskutierte ich am 27. September 2024 im Swane-Café mit dem sehr interessierten Publikum und musste mir am 1. Oktober diesen Artikel in der Westdeutschen Zeitung zu Gemüte führen, verfasst von Michael Bosse.

Mit fein ziselierten psychologischen Beschreibungen seines Vaters hält sich Niklas Frank gar nicht erst auf, er geht das Thema lieber frontal an – oder besser gesagt: horizontal. Und so deklamiert der 85-Jährige gleich zu Beginn seiner Lesung im Swane-Café in schrillen Tönen, pornografisch aufgeladenen Motiven und hastigen Sätzen den Zeugungsakt seiner Eltern Hans und Brigitte, dem sein Dasein auf diesem Planeten zugrunde liegen soll. So manchem Besucher dürfte da am Freitagabend der Atem gestockt sein, als er hörte, wie unversöhnlich und zornig ein Mensch mit seinen Eltern abrechnen kann.

Der 1939 geborene Niklas Frank – Journalist und Buchautor – nimmt sich dieses Recht, weil er der jüngste Sohn des überzeugten Nationalsozialisten und Chef des Generalgouvernements für die von Deutschland während des Zweiten Weltkriegs besetzten polnischen Gebiete ist. Sein Vater trägt den Beinamen „Schlächter von Polen“. Der bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen zum Tode verurteilte und im Oktober 1946 gehenkte Hans Frank sei ein „Prototyp des deutschen Verbrechers jener Zeit“ gewesen, berichtet Frank: „Hoch gebildet, aber ohne Moral“.

Niklas imaginiert sich in den Sterbemoment seines Vaters geradezu hinein, nimmt sie als erotische Ersatzbefriedigung, wie er selbst schreibt – mit dem Verweis, dass er auf die Vorstellung von der Hinrichtung seines Vaters masturbiert habe. „Ich mochte dein Sterben“, rezitiert es aus seinem Buch. „Das Knacken deines Genicks ersparte mir ein verkorkstes Leben.“

Niklas Frank, der als Journalist für den „Playboy“ und den „Stern“ gearbeitet hat, weiß, wie er Geschichten recherchiert und auf den Punkt bringt. An seiner Familie hat er sich in mehreren Publikationen abgearbeitet: Zunächst 1987 mit seinem Buch „Der Vater. Eine Abrechnung“, hinzu kamen unter anderem 2005 ein Buch über seine Mutter und 2013 ein Buch über seinen Bruder Norman. Niklas Frank hat zwei Brüder und zwei Schwestern – man kann sich angesichts der drastischen Worte, mit denen er seine Eltern charakterisiert und Privates öffentlich macht, vorstellen, dass die Diskussionen um die historische Verstrickung der Eltern unter den Geschwistern nicht leicht gewesen waren.

Franks Mutter inszenierte sich als „Königin von Polen“
Als kleiner Junge lebte Niklas Frank mit seiner Familie auf dem Krakauer Königsschloss, sein Vater agierte als Statthalter Hitlers in Polen. Seine Mutter inszenierte sich als „Königin von Polen“, kaufte gerne in den Juden-Ghettos ein, weil es dort so schöne Koteletts und Pelze gab. Sohn Niklas schildert sie in seinem Buch als etwas unbedarfte, aber durchaus auch mit taktischem Geschick ausgestattete Person, die den Vater unterstützte und seine Untaten deckte.

Bei der Auseinandersetzung mit der familiären Vergangenheit lässt es Niklas Frank aber nicht bewenden. Er hat auch zur deutschen Vergangenheitsbewältigung beziehungsweise -nichtbewältigung eine pointierte Ansicht.
Fazit: Alles nur scheinheiliges Getue und Fortsetzung des Antisemitismus unter vermeintlich demokratischen Vorzeichen. Die Deutschen hätten das Thema Holocaust (man kann es auch Shoa nennen) bis heute beschwiegen und ihre „ureigenen Verbrechen nicht angenommen“.

Es gebe zwar 100 000 Stolpersteine und 354 Gedenkstätten und Denkmäler für die ermordeten Juden in Deutschland, doch das Verschweigen dauere an, der Antisemitismus lebe fort – und von dieser Zustandsbeschreibung führe dann „ein direkter Weg zur AfD“. Die Einschätzung des 85-Jährigen für die Zukunft Deutschlands fällt an diesem Abend, zu dem der Verein Allianz für Diversität, Dialog und Empowerment (Adde) eingeladen hatte, auch düster aus: „Die Demokratie geht vor die Hunde.“

Ist Ihnen etwas aufgefallen? Vermutlich nicht. Natürlich haben Sie mal wieder zu flüchtig gelesen… Dabei ist da eine so entsetzliche Verdrehung drin, die mich diesen Leserbrief an die Chefredaktion und Herrn Bosse schreiben ließ, woraufhin sich ein Mail-Gefecht entwickelte – mit halbwegs gutem Ende:

3.10.2024
Ich an die Westdeutsche Zeitung    

Das ist schon ein arger Klops, den Michael Bosse in seinem Artikel über meine Lesung im Swane-Café mit diesem Satz geformt hat: “Seine Mutter inszenierte sich als „Königin von Polen“, kaufte gerne in den Juden-Ghettos ein, weil es dort so schöne Koteletts und Pelze gab.

Selbst, wenn er mich nicht richtig verstanden hatte – denn ich las „Corselettes“ – ist es schon erstaunlich, dass Ihr Reporter aus meiner Mutter, der stinkreichen Ehefrau meines Massenmörder-Vaters Hans Frank – Hitlers Generalgouverneur des besetzten Polens – ein verhungertes Weiberl macht und aus den Ghettos blühende Nahrungsoasen, in denen die eingesperrten jüdischen Kinder, Frauen und Männer nur wegen Fettleibigkeit um ihr Leben fürchten mussten. Peinlich, peinlich! 
Niklas Frank
Ecklak 
Ich hoffe, Sie haben den Mut, diesen Text auch als Leserbrief zu veröffentlichen!       

4.10.2024
Herr Kupfer an mich 

Hallo Herr Frank,
auch wenn der Fehler in diesem Zusammenhang unangenehm ist: Ich kann nicht nachvollziehen, wieso Sie unseren Autor Herrn Bosse deswegen so angehen und Deutungszusammenhänge herstellen, die Herr Bosse nicht im Sinn hatte, wie man unschwer schlussfolgern könnte. Trotzdem entschuldigen Sie bitte den Fehler.                                                   Grüße, 
Olaf Kupfer                                                                                                                             
Stellvertretender Chefredakteur

4.10.2024
Ich an Herrn Kupfer

Lieber Herr Kupfer,
wieso “angehen”? Herr Bosse war es doch, der die entsetzlichen Verhältnisse in den deutschen Ghettos schamlos auf den Kopf stellte!
Na, veröffentlichen Sie meinen Leserbrief? Das wäre für ein demokratisches, unabhängiges und selbstkritisches Blatt wie die WZ das Selbstverständlichste.
Sie können ja in Kursiv eine Entschuldigung Ihrer Redaktion drunter setzen.
Herzlichst,
Niklas Frank, der Ihre Entschuldigung annimmt.

14.10.2024
Ich an Herrn Kupfer

Lieber Herr Kupfer,
bis jetzt ist mein Leserbrief noch nicht erschienen, was mich doch sehr verwundert! Ich dachte, es berührt Ihr Herz und Hirn, wenn durch einen saudummen Fehler die Opfer unseres Holocausts so verhöhnt werden. Sie können sich ja unterhalb meines Leserbriefs vom sarkastischen Inhalt desselben a bisserl distanzieren, sollten sich aber zugleich bei Ihrer Leserschaft überzeugend entschuldigen.
Mit (noch) freundlichem Gruß,
Niklas Frank

14.10.2024
Herr Kupfer an mich

Hallo Herr Frank,
schreiben Sie gerne einen Leserbrief, der unseren Autor nicht vorführt. Der darf gerne auf Fehler hinweisen – aber bitte auch verbal über der Gürtellinie. Unsere Redakteure sind nie frei von Fehlern, aber auch keine Watschenmänner.
Sind Sie dazu bereit? Dann veröffentlichen wir gerne. 
BG 
Olaf Kupfer
Stellvertretender Chefredakteur

14.10.2024
Ich an Herrn Kupfer

Ach, Herr Kupfer, Ihren Autor darf man nicht “vorführen”? Aber unsere millionenfache Ermordung jüdischer Kinder, Frauen und Männer verspotten, das geht natürlich…
Meine Güte, wenn Sie nur ein bisschen Herz, Empathie und Geschichtsbewusstsein hätten, wäre schon am nächsten Tag nach der Veröffentlichung des Artikels von Ihnen als Chefredakteur eine Entschuldigung im Blatt erschienen! 
Noch einmal: Drucken Sie umgehend meinen Leserbrief, entschuldigen Sie sich darunter – mein Vorschlag, siehe oben – bei der der Leserschaft und distanzieren Sie sich ruhig – wenns Ihnen Ihre Feigheit befiehlt – von meinem Ton.
Niklas Frank
p.s. Im Übrigen habe ich Herrn Bosse nicht “vorgeführt”, sondern meinen Schmerz und meine Wut über seine entsetzliche Entgleisung in meinem Leserbrief sarkastisch verarbeitet!

14.10. 2024
Herr Kupfer an mich

Hallo Herr Frank,
vielleicht telefonieren wir darüber mal, damit Sie verstehen, was mich an Ihrer Herangehensweise mit einem Fehler (eine Verspottung wäre ja ein sehr aktiver Vorgang) stört. Wollen Sie mir mal Ihren Kontakt schicken?
Gruß, 
Olaf Kupfer
Stellvertretender Chefredakteur

14.10. 2024
Ich an Herrn Kupfer

04825 1298

16.10.2024
Ich an Herrn Kupfer

Na, wann rufen Sie mich denn an? Oder ist Ihre Entschuldigung schon in Ihrer Zeitung erschienen?

18.10.2024
Ich an Herrn Kupfer

Lieber Herr Kupfer,
ein letztes Mal meine Nachfrage, ob Sie mich nun anrufen oder nicht. Immerhin hatten Sie selbst ein Gespräch vorgeschlagen! Oder übersteigt die Feigheit Ihre Anständigkeit, nach so einem Murks in Ihrer Zeitung zumindest dem Leservölkchen eine Entschuldigung zu überreichen?
Mit (noch) freundlichem Gruß,
Niklas Frank
Tel. 04825 1298 (hiermit zum zweiten Mal geschickt!)


Herr Kupfer rief mich letztendlich 18.10.2024 nachmittags an, und ich wurde während des Gesprächs zwar nicht laut, aber ziemlich wütend. Weil ich eben immer wieder bei unseren JournalistInnen feststellen muss, dass sie unser Verbrechen des Holocaust nicht nah an ihre Seele und Herz rangekommen gelassen haben. Die Leserschaft handelt genauso: Sagte mir Herr Kupfer doch: Niemand habe sich über den Artikel beschwert. Auf meine Beschwörung hin, sich doch wenigstens unabhängig von meinem ihm viel zu aggressiven Leserbrief in seinem Blatt zu entschuldigen, sagte er: „Ich werde es mir überlegen.“

Was er auch tat, denn am Samstag, dem 19.10.1924, stand dieses in der Westdeutschen Zeitung:

Korrekt: Corselettes
In einem Artikel über eine Lesung des Autors Niklas Frank im Swane-Café in Wuppertal ist uns in dem Satz „Seine Mutter inszenierte sich als Königin von Polen, kaufte gerne in den Juden-Ghettos ein, weil es dort so schöne Koteletts und Pelze gab“ ein Fehler unterlaufen. Statt „Kotelettes“ muss es „Corselettes“ heißen. Wir bitten, diesen Fehler vom 1. Oktober zu entschuldigen.

Bildmontage: Heike Pohl

Warenkorb
Nach oben scrollen