Für all die vergossenen Krokodilstränen

Gastbeitrag von Heike Pohl

“Wir Deutschen und Österreicher haben die von uns penibel durchgeführte Vernichtung von jüdischen Kindern, Frauen und Männern bis heute nicht als unsere ureigenen Verbrechen angenommen. Stattdessen bauten wir Denkmäler und Gedenkstätten. Ein nahezu genialer Ablenkungscoup für daheim und das Ausland.
Dabei wäre das einzig ehrliche Denkmal eine riesige Krokodilsträne, in der sich unsere Scheinheiligkeit täglich spiegelt. Das hab ich immer wieder mal bei Einladungen in Schulen und öffentlich gefordert.
Jetzt ließ ich es selbst bauen. Jetzt thront es zwischen Bäumen auf der großen Wiese neben meinem Reetdachhäusel”
, schreibt Niklas Frank in seinem neuesten Buch mit dem provokativen Titel “Zum Ausrotten wieder bereit?”.

Ein Denk!-Mal der Scheinheiligkeit

Über ein Jahr Planung und Vorbereitung sind vergangenen von der Idee bis zur Umsetzung. Und nun steht es in Schleswig-Holstein auf der grünen Wiese, neben dem erwähnten Reetdachhäusel: Ein riesengroßes Krokodil in den Farben unseres Landes, das sich an eine überdimensionale Träne klammert. Von seinem Stifter und Financier herausfordernd als “einzig ehrliches Denkmal für die von uns* ermordeten jüdischen Kinder, Frauen und Männer” bezeichnet.
Der kleine Stern hinter dem Wörtchen “uns” erweitert den Kreis der Schuldigen auf Österreich. Die Österreicher seien noch scheinheiliger, als wir Deutschen, meinte Niklas Frank in seiner Rede zur Einweihung. Dabei verwies er auf eine Untersuchung durch das österreichische Parlament, in welcher die ketzerische Frage gefallen sei, ob die Österreicher sich gegenüber den Flüchtlingen nicht genau so verhielten, wie damals die Deutschen gegenüber den Juden. Das bringt Niklas Frank in Rage. Die Österreicher hätten, schaue man auf die damaligen Bevölkerungszahlen, pro Kopf noch mehr auf dem Gewissen gehabt, als wir. Aber das lässt er so nicht stehen. Es ist ihm wichtig, dass hier bloß keiner meint, er könne sich hinter irgendwem verstecken – hüben wie drüben nicht.

Terror in Israel

Über ein Jahr Planung und Vorbereitung waren also vergangen, um ein Denkmal der besonderen Art zu stiften. Gebaut wurde die Krokodilsträne in Niedersachsen, von wo sie der Stifter selbst abholen wollte. Alles war vorbereitet, der Traktor samt Hänger durch den TÜV, die Route geplant, die Presse mit “im Boot”, und dann geschah das Ungeheuerliche, das Massaker vom 07. Oktober 2023, von vielen Israelis und Juden als Pogrom bezeichnet. (Dokumentiert und aufgezeichnet hier.) Der Angriff der Hamas auf Zivilisten in Israel, der auf so barbarische Weise erneut das Volk heimsuchen sollte, auf dessen Leid sich Niklas Frank in seinen Büchern und Lesungen seit vielen Jahren konzentriert.

Also hat er alles abgesagt. Wie sollte da und im Angesicht des blanken Terrors ein Mahnmal eingeweiht werden, das den ermordeten Juden des vergangenen Jahrhunderts gilt? Und so wurde das Krokodil per Spedition und ohne viel Aufhebens im November nach Ecklak gebracht.

Zur Einweihung waren die Menschen aus der Umgebung, die lokale Presse, einige Freunde aus der Region und die Familie geladen.
In seiner Rede machte Niklas Frank klar, was ihn antreibt, was ihn motiviert und was nicht nur Anlass seiner unentwegten Auseinandersetzung mit dem Thema, sondern speziell auch für dieses Denkmal ist:
Es steht symbolhaft für den Umgang von uns Deutschen mit den Verbrechen an den Juden im Dritten Reich.
Und der Betrachter kann sich und seine Haltung dazu in der Träne spiegeln.

Gedenken an den Holocaust

Wir Deutschen haben das Leid, das wir sechs Millionen Juden angetan haben, nie persönlich an uns herankommen lassen. Wenn man nämlich seine eigenen Liebsten an die Stelle nimmt, wo wir alle nur diese Fotos im Kopf haben von den Millionen ermordeten Menschen, bekommen wir vielleicht ein Millionstel von dem Leid mit, das wir diesen unschuldigen Menschen bereitet haben.”

Niklas Frank

Jedes einzelne Wort geht mitten ins Herz, wenn man es denn zulassen will. Umso dringlicher vor dem aktuellen Hintergrund und der drohenden Wiederholung des Versäumnisses, das Niklas Frank da so eindrücklich als Erkenntnis aus der deutschen Vergangenheit beschreibt.

Denn:
Die öffentliche Diskussion über Israel, sie würde anders ausfallen, wenn man seine eigenen Liebsten an die Stelle der so bestialisch ermordeten Opfer aus Israel nähme. Vielleicht bekämen wir Deutschen dann ein Millionstel von dem Leid mit, das Terroristen diesen unschuldigen Menschen angetan haben.

Und: Wir würden nicht denselben Fehler noch einmal machen. Und dort wegschauen, wo es um jüdisches Leben geht.

Videoaufzeichnung, Pressetexte und Fotoaufnahmen anlässlich der Einweihung des Denk!-Mals, 26. November 2023

“Niklas Frank ist für mich ein Leuchtturm, wie wir Küstenmenschen ihn lieben.”

Jens Rusch, Künstler aus Dithmarschen

Aktuelle Presse zum Denkmal und zum Buch

Gegen das Vergessen: Niklas Frank hat mit seinem Mahnmal in Ecklak ein Ausrufezeichen gesetzt
Unterstützer im Kampf gegen Antisemitismus würdigen die Kritik von Niklas Frank an der mangelnden Aufarbeitung der Verbrechen der Deutschen an den Juden im Dritten Reich.
S:Hz Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag, Text von Heike Pohl, 04.12.2023

Jäger der Verlogenheit
Niklas Frank arbeitet sich seit Jahrzehnten an seinem Vater ab, einem der übelsten Verbrecher des Zweiten Weltkriegs. Jetzt hat er in seinem Garten ein sehr ungewöhnliches Mahnmal aufgestellt.
ZEIT Online, Text von Stephan Lebert, 25.11.2023

Sohn des Nazi-Massenmörders Hans Frank schreibt Buch über Antisemitismus
Niklas Frank, Sohn des in Nürnberg hingerichteten Nazis Hans Frank, sorgt sich, dass Geschichte sich wiederholen und Judenhass und eine neue Diktatur bald die Demokratie beseitigen könnten.
S:Hz Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag, Text von Kay Müller, 23.11.2023

Sohn des “Schlächters von Polen” errichtet eine Träne gegen Judenhass
Niklas Frank, Sohn von Hitlers Statthalter in Polen, leidet an der Schuld des Vaters und kämpft gegen Antisemitismus. Nun stellt der 84-Jährige in Deutschland ein Mahnmal auf – mit Wink nach Österreich
DerStandard, Text von Birgit Baumann, 23.11.2023

Deutsche Krokodilsträne
Das politische Buch – Rezension von Robert Probst
Süddeutsche Zeitung, Rezension von Robert Probst, vom 29.10.2023

Link zur Dokumentation des Massakers vom 7. Oktober 2023

Hamas Massacre Documented War Crimes, October 2023


Text und Video: Heike Pohl
Fotos: Sönke Dross

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